Opferfürsorge in Österreich am Beispiel der Steiermark
Das Defizit des österreichischen Staates, Mitverantwortung für seine NS-Vergangenheit zu übernehmen und für eine »Wiedergutmachung« aufzukommen, wurde – ausgelöst durch die »Waldheim-Debatte« – erst in den späten 1980er Jahren bewußt wahrgenommen. Konkrete Folge dieses Perspektivenwechsels auf die NS-Vergangenheit war eine Neuorientierung der Entschädigungs- und Restitutionspolitik gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus. Damit wurde auch auf die unzureichenden gesetzlichen Maßnahmen der bisherigen Opferfürsorge reagiert: Das 1947 beschlossene Opferfürsorgegesetz zugunsten der Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und der Opfer politischer, rassistischer, nationaler oder religiöser Verfolgung durch den Nationalsozialismus sah in seiner ursprünglichen Fassung lediglich Sozial- und nicht »Wiedergutmachungsleistungen« vor. Das vorliegende Buch thematisiert die regionale Vollzugspraxis dieser Opferfürsorge am Beispiel der Steiermark mit Schwerpunkt auf die ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte. Die Ergebnisse der Untersuchung, der rund 2.600 Opferfürsorgeakten zugrunde liegen, machen Defizite des ursprünglichen Gesetzes – bzw. seiner Umsetzung in der Praxis der Behörden – deutlich. Der Ablauf des bürokratischen Verfahrens und die dabei verwendeten Sprachregelungen geben Auskunft über den Stellenwert der Opfer der NS-Verfolgung in einer Gesellschaft, die über Jahrzehnte hinweg zwar den gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkrieges, jedoch nicht den Opfern der NS-Verfolgung ehrendes Gedenken erwies.