«Die Geschichte politischer Veränderung ist die Geschichte ergriffener und verpasster Gelegenheiten» schreibt Alexander Neupert-Doppler in seinem Buch über die politische Philosophie des Kairós. Im antiken Griechenland war Kairós der Name des Gottes der günstigen Gelegenheiten, der schnell vorbeifliegt, wenn er nicht an seinem vorderen Haarschopf gepackt wird – denn am Hinterkopf ist er kahl.
Im Movement Action Plan (MAP) von Bill Moyer leiten kritische Ereignisse nach Phasen von Bewegungsaufbau den Start sozialer Bewegungen ein und verhelfen ihnen in späteren Phasen oft zum Erfolg. Damit ein Ereignis auch zum kritischen Ereignis werden kann, muss es als solches wahrgenommen, gedeutet und für die eigenen Ziele genutzt werden können.
Für umfassendere gesellschaftliche Transformation müssen sich zudem unterschiedliche Akteur:innen und Bewegungen abstimmen und verbinden.
Ingrid Gilcher-Holtey schrieb über das kritische Ereignis Mai 1968 in Frankreich: «Die «große Parallelaktion» von Studenten- und Arbeiterschaft führte zu einem «kritischen Moment» (Bourdieu), in dem alles möglich war oder doch so erschien, die Zukunft wirklich kontingent, das Kommende unbestimmt war, ohne vorhergesehene oder vorhersehbare Folgen.»
Wir betrachten in diesem Online-Seminar mit Alexander Neupert-Doppler zunächst allgemeine Verständnisse kritischer Ereignisse für soziale Bewegungen und gesellschaftliche Transformationsprozesse. Dann möchten wir diskutieren, für wen und was Corona bislang ergriffene Gelegenheit war und warum linke soziale Bewegungen die Gelegenheit bisher nicht am Schopf packen konnten. Was wäre möglich gewesen, was könnte noch möglich sein – und was sind Voraussetzungen dafür?
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